Annual gift 2000 / Jahresgabe 2000

Facsimile from the author's estate in the Swiss Literary Archives

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Editorische Notiz

Die amerikanische Schriftstellerin Patricia Highsmith (1921-1995) verbrachte die letzten vierzehn Jahre ihres Lebens im Tessin. 1996 erwarb das Schweizerische Literaturarchiv ihren Nachlass.
1952 wurde ihr zweiter Roman, The Price of Salt, unter dem Pseudonym Claire Morgan publiziert. Er hat die Liebe zwischen zwei Frauen zum Gegenstand. Die Taschenbuchausgabe von 1953 wurde millionenfach verkauft, die Autorin mit Briefen von Leserinnen überhäuft. Rückblickend erklärt sie sich diesen Erfolg dadurch, dass es die erste bis zum Schluss positive Darstellung einer homosexuellen Liebe in der amerikanischen Literatur war.

The Price of Salt - verfilmt unter dem Titel Carol

Die Hauptfigur Therese, die Bühnenbildnerin werden will und aushilfsweise in einem grossen New Yorker Warenhaus in der Puppenabteilung arbeitet, verliebt sich in eine Kundin, die verheiratete Carol. Die sich entwickelnde Liebe, die sie auf einer Reise in den Westen der USA ausleben, führt bei beiden zum Bruch mit der bisherigen Existenz: Therese verlässt ihren Freund Richard, Carol wird durch ihren Ehemann Harge, der sie durch einen Privatdetektiv verfolgen lässt, gezwungen, auf das Sorgerecht für ihre Tochter Rindy zu verzichten. Doch die beiden Frauen stehen über die sozialen Barrieren hinweg zueinander.

Der hier vorliegende, als Argument of Tantalus (or The Lie) betitelte Plan zu diesem Romanstoff ist ein wichtiges Zeugnis von Highsmiths Arbeitsweise: Er bildet eine Art Protokoll der Niederschrift des Romans um 1949/50: Die stichwortartige Skizze entspricht in groben Zügen der Handlung des publizierten Romans, wenn auch der Schluss anders ist und an Stelle von Carols Freundin Abby noch eine Figur mit Namen Marta steht. Zudem weicht die Kapiteleinteilung erheblich von der Endfassung ab. Der Handlungsskizze folgt eine Zusammenstellung der psychologischen Verhältnisse zwischen den Figuren. Highsmith ergänzt den Plan nachträglich durch Kästchen mit Stichworten und Zahlen, die auf Textpassagen hinweisen, welche sie in ihren Arbeitstagebüchern, den "Cahiers", notierte (meist mit Monat, Tag, Jahr und Nummer des Hefts). Die 39 handschriftlichen Cahiers, die im Nachlass erhalten sind, bilden also den literarischen Fundus, auf den die Autorin zurückgriff, wenn es galt, einen Roman im Detail auszuarbeiten. Nicht nur die autobiographisch motivierte Szene der Liebe auf den ersten Blick zwischen Verkäuferin und Kundin, von der Highsmith sagte, sie habe ihr den Anstoss zum Roman gegeben, findet sich dort: Zahlreiche Einfälle, Beobachtungen und Impressionen, die bis ins Jahr 1944 zurückreichen, werden für den Roman genutzt. Vermutlich strich Highsmith auf dem Plan sukzessiv Eintragungen, die sie nicht mehr brauchte, und jene Kapitel durch, die im (nicht erhaltenen) Romantyposkript ausformuliert waren.