Jahresgabe 2005

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Editorische Notiz
Brief an Hermann Burger mit Gedichtbeilage
Erika Burkarts Brief an Hermann Burger vom August 1965 gehört zur Korrespondenz zwischen den beiden Schriftstellern, die zwischen 1964 und 1988 insgesamt 71 Briefe umfasst. Im Schweizerischen Literaturarchiv sind im Nachlass Hermann Burger sowohl Erika Burkarts eigenhändige Briefe an Burger (51) sowie Durchschläge von Briefen Burgers an Erika Burkart (20) enthalten - ein nicht selbstverständlicher Glücksfall sich gegenseitig ergänzender Archive. Diese Briefe zeugen von der Freundschaft, die Hermann Burger mit Erika Burkart verband. Neben literarischen Themen oder Eindrücken zu Leseerlebnissen werden darin oft persönliche Gedanken, Beobachtungen und Empfindungen berührt, aber auch ganz alltägliche Dinge wie der nächsten Besuch Burgers in Altäusern oder Belange der Gesundheit kommen zur Sprache. Immer wieder finden auch unveröffentlichte Texte den Weg von der Brunegg ins Haus Kapf und umgekehrt, der Lektüreeindruck wird dann auf dem Korrespondenzweg diskutiert.

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Dieser Brief mit den beiden Gedichten Seligkeit und Bildteppich (publiziert in "Die weichenden Ufer", 1967), die auf einem Durchschlagpapier beigelegt sind, ist ein schönes Beispiel für den literarischen Austausch zwischen den beiden Schriftsteller-Freunden. Ein paar Zeilen mit dem Titel "Nähe des Meeres, Meer" sind dem eigentlichen Brief vorangestellt. Erika Burkart knüpft damit und auch mit einer Bemerkung am Schluss des Briefes offenbar an einen Hinweis Burgers über die Liebeskraft des Meeres an - dieser Brief ist allerdings nicht erhalten. Vor allem bezieht sich Erika Burkart aber auf ein Gedicht Burgers - er hat es ihr offenbar zur Lektüre geschickt - , "das [sie] tief und wunderbar anspricht" und das "Verzweiflung und Entzückung zugleich ist". Es handelt sich dabei um das Gedicht "Schmerz" aus dem Band "Rauchsignale", Burgers Erstling von 1967. Darin ist die Rede von einem blauen Pferd, das Erika Burkart in ihrem Brief als "Bild der eigenen Wesenheit" deutet und an die Seite ihres eigenen Bildes von der blauen Blume stellt, die u.a. auch im Gedicht Seligkeit aufscheint.

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Erika Burkart hat ihre literarischen Materialien im Jahr 2000 dem Schweizerischen Literaturarchiv übergeben. Neben Entwürfen, Skizze und Notizen zu literarischen Werken, die meist in Ringhefte notiert wurden, finden sich in ihrem Archiv die Manuskripte fast sämtlicher Prosawerke. Die lyrischen Texte, deren Entstehung in den Notizheften verfolgt werden kann, sind in der Regel als Typoskripte auf Einzelblättern erhalten. Besondere Beachtung verdienen ausser den literarischen Materialien insbesondere auch die Korrespondenzen. Erika Burkart pflegte (und pflegt) mit vielen namhaften Kolleginnen und Kollegen der literarischen Szene briefliche Kontakte. Neben Hermann Burger stehen Namen wie Hans Boesch, Hilde Domin, Philipp Jaccotet, Erwin Jaeckle, Gertrud Leutenegger, Viktor Surbek, Traugott Vogel, um nur einige der bekannteren zu nennen. Dazu kommen viele Briefpartnerinnen und Briefpartner, die zum persönlichen Freundeskreis von Erika Burkart gehören. Eine grosse Sammlung von Pressedokumentationen zu Leben und Werk der Autorin runden das interessante Archiv ab.
 
Biografische Notiz
Erika Burkart wurde 1922 in Aarau geboren und kam schon sehr früh nach Althäusern ins Haus Kapf, die ehemalige Sommerresidenz der Aebte von Muri. Ihre Eltern unterhielten dort eine Gastwirtschaft. Der Vater, einst Grosswildjäger in Südamerika, betreute die Gaststube, während die Mutter ihre Töchter ins Reich der Sagen einführte. Zeitlebens wird Erika Burkart diesem Haus treu bleiben, und die umgebende aargauische Landschaft war für ihre Dichtung von Anfang an prägend. Nach der Ausbildung zur Primarlehrerin unterrichtete sie während mehrerer Jahre an verschiedenen Schulen, bis sie sich ab 1955 ausschliesslich dem Schreiben widmete. Sie ist mit dem Schriftsteller Ernst Halter verheiratet.
Erika Burkart ist gegenwärtig eine der bedeutendsten Lyrikerinnen des deutschsprachigen Raumes, sie hat die Lyrik und auch die lyrisch geprägte Prosaliteratur der vergangenen 50 Jahre massgeblich mitgeprägt. Ihr sind eine ganze Reihe von Gedichtbänden und Prosawerken zu verdanken, deren literarischer Kosmos auf Natur und Landschaft konzentriert ist. Diese Räume erschöpfen sich bei ihr aber nicht in sich selbst, sondern erhalten Symbolcharakter, indem die Autorin vor diesem Hintergrund die wichtigen Fragen ihrer dichterischen Existenz ausleuchtet. Der Mythos der Kindheit und die Vertreibung aus diesem Paradies sind an dieser Stelle zu erwähnen, ebenso die Entfremdung des Menschen von sich selbst sowie von Natur und Kosmos; und schliesslich präsentieren sich Liebe, Tod und Trauer sowie generell die geistige Welt als zentrale menschliche Erlebnisräume.

Die Reflexionen zu Möglichkeiten und Grenzen der Sprache gehören ebenfalls zu den Themenkreisen, die Erika Burkart immer neu in überzeugende sprachliche Bilder zu formen versteht. Nach einem anfänglichen Vertrauen in das weltschaffende Dichterwort in der Tradition Eichendorffs zerbricht diese Magie, und das Schreiben wird für die Dichterin zur harten Arbeit, in der jedes dichterische Wort dem Schweigen abgerungen werden muss:

Dazwischen
Ich suchte das Wort
das mich fände.
Jedes Wort ein Mass für Distanzen,
die ich mit Worten nicht überwinde.
Lauschen ist ein Gespräch mit dem Schweigen.
Gedichte sind Grade des Schweigens.

In: Ich lebe. Artemis: Zürich/Stuttgart 1964, S. 8.